Donnerstag, 6. Oktober 2016

Reflexe statt Reflexion

In unseren christlich evangelikalen Kreisen begegnen mir allzuoft so typische Reflexe. Ein Reflex ist ja eine Handlung, die mein Körper ausführt ohne Nachzudenken. Wenn ich ausrutsche, wedeln meine Arme und strecken sich meine Beine noch bevor ich darüber nachdenken kann, wie ich das Gleichgewicht wiederfinde. Wenn mir etwas ins Auge fliegt, schließen sich meine Augenlieder, noch bevor ich sehe was da auf mich zukommt. Reflexe! Sie brauchen kein Hirn, nur entsprechende Reize.

Das Gegenteil wäre Reflexion, klingt zwar so ähnlich, ist aber genau das Gegenteil. Reflexion ist das Substantiv von Reflektieren, also von Nachdenken, Überlegen oder Überdenken.

Nun gibt es leider sehr viele Themen, bei denen ganz schnell diese typischen Reflexe zutage treten. Gespräche über Hermeneutik, die Irrtumslosigkeit der Schrift, Homosexualität, den Islam, Scheidung, Sex vor der Ehe, eine ewige Hölle, die anselmsche Erlösungslehre, israelische Politik oder Katholiken werden oft von Reflexen bestimmt. Das sind Reizthemen und Reize lösen Reflexe aus. Da wird reagiert, noch bevor man richtig zugehört hat. Da wird sofort abgelehnt, ausgegrenzt, verurteil, gerichtet und mit dem Etikett unbiblisch, ungeistlich oder Irrlehre versehen. Reflexe laufen gewöhnlich immer gleich ab und kennen wenig Variationen.

Aber so kommt man nicht weiter, ergeben sich keine Gespräche, entsteht kein Verständnis und wächst Intoleranz. Es wird Zeit, dass Reflexion unsere evangelikalen Reflexe ersetzt. Es wird Zeit, dass wir wieder das Hirn gebrauchen. Viele Themen sind so angstbesetzt, so tabu, so mit festen Meinungen und Vorurteilen zubetoniert, dass Reflexion darüber ohne Chance ist. Dabei ist der Ausdruck "Fürchte dich nicht" der häufigste Satz in der Bibel. Das sollte uns freisetzen zum Reflektieren, Nachdenken, Diskutieren und Dazulernen. Schließlich sollen wir Jünger sein, also Schüler und das sind Lernende.

Darum lade ich uns alle ein, uns nicht länger von Reflexen einschüchtern zu lassen, sondern mutig zu reflektieren und den Reflexen zu trotzen. Reflexion hat am Ende den längeren Atem.

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