Freitag, 29. Mai 2015

Ist das ein Gott der Liebe? - Teil 3

Das ist der dritte Teil meiner Ausführungen zur Frage, wie wir Schicksalsschläge und die Liebe beziehungsweise Allmacht Gottes zusammenbekommen. Teil 1 findet man hier, Teil 2 hier.

Die Ohnmacht Gottes


Diese Antwort ist mehr philosophischer Art, beinhaltet aber trotzdem ganz wichtige Gedanken für diese große Frage. Wir gehen davon aus, dass Gott absolut liebevoll und allmächtig ist. Und bei dieser Kombination dürfte es kein Leid geben. Diese zweite Antwort rüttelt nun an Gottes Eigenschaft der Allmacht Gottes.
Wir gehen bei einem christlichen Weltbild davon aus, dass es am Anfang nur Gott gibt. Nichts anders. Da ist nicht Gott und die Welt. Wenn es mit Gott gleichzeitig die Welt gegeben hätte, wer hätte dann die Welt gemacht? Es kann am Anfang nur Gott geben, denn wenn es noch etwas anderes gegeben hätte, dann müsste es ja wiederum jemanden darüber geben, der Gott und das andere ins Dasein ruft. Insofern kann es am Anfang nur Gott geben.
Und wenn Gott allmächtig ist, der Beginn von allem, dann ist erst einmal für nichts anderes Macht oder Raum zum Dasein vorhanden. Ein allmächtiger Gott hat eben restlos alle Macht, denn wenn noch etwas anderes Macht hätte, wäre Gott nicht allmächtig. Wenn es also neben Gott irgendetwas geben soll, wenn neben ihm noch etwas existieren soll, wenn neben ihm etwas Macht zum Existieren oder zum sich entfalten haben soll, muss Gott auf einen Teil seiner Macht, seines Dasein verzichten.
In der freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes, in dem freiwilligen Verzicht auf einen Teil seiner Macht und seines Daseins, schafft Gott den Raum und eröffnet er die Möglichkeit für anderes zu existieren, also für das Dasein von etwas anderem. Und in diesem Machtverzicht, in diesem freiwilligen Rückzug Gottes schafft er den Raum, in dem nun die Schöpfung stattfinden kann, in dem es den Menschen geben kann, in dem der Mensch Macht zum Dasein hat und vor allem einen freien Willen haben kann.
Schöpfung und Willensfreiheit sind nur möglich, durch Gottes freiwillige Selbstbeschränkung, durch Gottes freiwilligen Rückzug.. Indem Gott sein Dasein beschränkt, schafft er Raum für das Dasein einer Schöpfung. Und ich meine das nicht räumlich, sondern inhaltlich.
Aber genau in diesem Machtverzicht Gottes, in dieser freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes, eröffnet sich nun auch der Raum für das Böse, ein Raum, in dem Gott auf Machtausübung verzichtet. Und aus diesem Grund erleben wir ein eingeschränktes Wirken Gottes. Wir erleben das Miteinander der Macht und der absichtlichen Machtlosigkeit Gottes. Wir nennen das auch das „schon jetzt“ und „noch nicht“ vom Reich Gottes. Und würde Gott all unsere Gebete erhören und überall seine Macht ausüben und überall allmächtig handeln, dann wäre unsere gesamte Existenz bedroht, denn dann bliebe für nichts Macht übrig. Wer den allmächtigen Gott fordert, fordert damit gleichzeitig das Ende der Schöpfung. Und Gott muss sich am Riemen reißen, nicht mit seiner ganzen Macht einzugreifen und allem Leid ein Ende zu machen, denn das bedroht unsere Freiheit und unsere Existenzmöglichkeit.
Wir leben nun mit dieser freiwilligen Selbstbeschränkung Gottes. Sie ermöglicht uns das Leben, das Atmen und das Sein. Aber die Nebenwirkung ist, dass wir auch auf ein Stück Allmacht Gottes verzichten und nicht gleichzeitig unsere Existenz, unsere Freiheit und Gottes dauerndes Eingreifen fordern können. Und Gott hält sich an diese Selbstbeschränkung aus Respekt, aus Achtung und aus Liebe zu seiner Schöpfung.
Am deutlichsten macht Gott seine Ohnmacht am Kreuz Jesu sichtbar. Und gleichzeitig drückt dieses Kreuz seine Liebe zu den Menschen aus. Darum hat er auch bei der Erlösung den Weg der eigenen Menschwerdung gewählt und nicht als allmächtiger Gott vom Himmel das Problem der Sünde oder der Verlorenheit gelöst. In seiner Selbstbeschränkung hatte er keine andere Wahl, als selbst Mensch zu werden und als Mensch die Welt zu erlösen. Als Jesus gekreuzigt wird, erleben wir Gott hilflos, machtlos. Und zwar selbst gewählt. Jesus hätte jederzeit Legionen von Engeln zur Hilfe rufen können. Aber er verzichtet auf Macht, erlebt absolute Ohnmacht, und bringt gerade dadurch seine Liebe und seine Wertschätzung den Menschen gegenüber zum Ausdruck.
Die Alternative ist sonst immer die Einschränkung menschlicher Freiheit und menschlicher Existenz. Wenn Gottes Macht zunimmt, muss alle andere Macht immer abnehmen. Es ist also ein Ausdruck von großer Liebe zu seiner Schöpfung, dass Gott ihre Freiheit und ihre Existenz nicht einschränken möchte, sondern lieber seine eigene Allmacht einschränkt, selbst wenn es die Begleiterscheinung hat, dass er einen Teufel, Leid, Böses und moralisch schlechte Entscheidungen der Menschen zulassen muss.

Diese zweite Antwort auf das Leid in der Welt lässt sich also so zusammenfassen: Es gibt Leid in dieser Welt, weil Gott der Welt zuliebe, ihrer Existenz und ihrer Freiheit zuliebe auf eigene Macht verzichtet und darum nicht immer so eingreifen kann, wie er es möchte. Wir erleben seine Macht immer wieder, aber eben oft auch noch nicht. Wir leben in diesem Spannungsfeld, das uns Freiheit, Dasein, Entfaltungsmöglichkeiten, Wert und Würde verleiht, aber auch die Möglichkeit von Leid, Bösen und der Abwesenheit von Gottes Macht eröffnet!
Gottes Macht und Ohnmacht stehen also nebeneinander:
  • Zum einen erscheint uns vieles auf der Welt sinnlos, planlos - und doch vertrauen wir darauf, dass Gottes Weisheit und Macht größer ist als die unsere und er ganz genau weiß, was er tut; und unser Leben ist und bleibt in seiner Hand.
  • Zum anderen erscheint uns Gott ohnmächtig und wir fragen uns, warum er nicht machtvoller und häufiger und umfassender eingreift? Und wir verstehen, dass dahinter Gottes freiwillige Selbstbeschränkung steht, die uns überhaupt Leben, Dasein und Freiheit ermöglicht.
Paulus gelingt es genau diese beiden Aspekte aufzugreifen und wunderbar zu verbinden:
1.Kor.1, 25 Gott erscheint töricht – und ist doch weiser als Menschenweisheit. Gott erscheint schwach – und ist doch stärker als Menschenkraft. (GN)
Andere Übersetzung: Denn hinter dem scheinbar so widersinnigen Handeln Gottes steht eine Weisheit, die alle menschliche Weisheit übertrifft und Gottes vermeintliche Ohnmacht stellt alle menschliche Stärke in den Schatten. (NGÜ)
Paulus redet hier von diesen beiden Antworten: Manchmal erscheint Gott töricht, keinen Plan, Chaos auf der Welt, Gott hat die Kontrolle verloren. Aber hinter diesem scheinbar widersinnigen Handeln Gottes steht eine Weisheit und Macht, die alle menschliche Weisheit übertrifft.
Und manchmal erscheint Gott schwach und ohnmächtig, warum greift er denn nicht ein, ist er nicht allmächtig? Aber Gottes vermeintliche Ohnmacht stellt immer noch alle menschliche Stärke in den Schatten.
Ich lebe mit beiden Antworten, trotz ihrer Widersprüchlichkeit. Sie lösen mir nicht alle Probleme und beantworten nicht alle Fragen, aber sie schenken mir Frieden in meine Seele und helfen mir mein Vertrauen ganz auf Gott zu setzen. Sie erklären mir etwas von diesem Mysterium, ohne es ganz aufzulösen. Und je länger ich mit diesen Antworten lebe, desto mehr wachse ich in sie hinein und können sie ihre Wirkung in meinem Leben entfalten.


Hier kann man diese ganzen Gedanken auch als Predigt ansehen:


Freitag, 22. Mai 2015

Ist das ein Gott der Liebe? - Teil 2


Gottes große Macht

Das ist der zweite Teil meiner Ausführungen zur Frage, wie wir Schicksalsschläge und die Liebe beziehungsweise Allmacht Gottes zusammenbekommen. Teil 1 findet man hier.
Die erste Antwort liefert uns das Hiob Buch. Im Hiobbuch erfährt die Hauptperson, also Hiob, schreckliches Leid. Zuerst werden seine gesamten Viehherden geraubt oder getötet. Dann werden seine zehn Kinder durch einen Sturm getötet. Und am Ende verliert er seine Gesundheit und leidet an einer furchtbar schmerzhaften Hauterkrankung, die ihn fast um den Verstand bringt. Die Zuschauer der Geschichte erfahren die Ursache dieser Leiderfahrung: Es ist eine Prüfung die über Hiob ergeht. Es soll herausgefunden werden, ob er nur so ein frommer und gottesfürchtiger Mann ist, weil es ihm so gut geht. Hiob selbst weiß nichts von der zugrunde liegenden Ursache seines Leidens. Und für Hiob kommt irgendwann der Moment, wo er seinem Zorn, seiner Wut und seinen Vorwürfen Gott gegenüber freien Lauf lässt. So lamentiert Hiob:
24,12 Das Stöhnen der Sterbenden liegt über der Stadt, und die tödlich Verwundeten schreien um Hilfe - doch Gott achtet nicht darauf. 
13,24ff Warum ziehst du dich von mir zurück und betrachtest mich als deinen Feind? Warum verfolgst du mich und jagst mir Schrecken ein? Ich bin doch nur ein welkes Blatt, ein dürrer Halm! Ein bitteres Los hast du über mich verhängt; du strafst mich sogar für die Sünden meiner Jugend. Du legst meine Füße in Ketten, beobachtest jede Bewegung und bewachst mich auf Schritt und Tritt. So zerfalle ich langsam wie ein Holz, das vermodert, wie ein Kleid, das die Motten fressen." 
Das ganze zieht sich dann viele Kapitel hin, und endet darin, dass Gott sich doch noch an Hiob wendet und ihm vor allem seine Größe und Allmacht beschreibt. In mehreren Kapiteln zeigt Gott Hiob, wie groß seine Macht ist, seine Schöpferkraft. Gott beschreibt Hiob wie er die Welt geschaffen hat, wie die Sterne und Planeten entstanden sind, er beschreibt ihm deren Umlaufbahnen und wie es zum Licht in der Welt kam, wie das Wetter entsteht, die Wolken, Blitz und Donner. Er beschreibt den Kreislauf von Regen, Wachsen, Gedeihen und Ernten. Etwas, das von ganz alleine abläuft, ohne das Zutun irgend eines Menschen. Gott beschreibt Hiob, wie er die Tierwelt erschaffen hat und alles wunderbar aufeinander abgestimmt ist und welche Wunder in der Natur anzutreffen sind.
 
Hiob erkennt die unfassbare Größe und Macht Gottes. Und gleichzeitig wird ihm seine eigene Kleinheit, Unwissenheit, Beschränktheit und Einfalt bewusst. Zu Beginn der Geschichte ist Hiob noch überzeugt, Gott in die Karten schauen und ihm Unfähigkeit und Chaos vorwerfen zu können.
Noch in Kapitel 23 sagt er ganz kühn:
3 Wenn ich nur wüsste, wo sich Gott befindet und wie ich zu ihm hingelangen könnte! 4 Ich würde ihm schon meine Lage schildern, ihm meine Gründe und Beweise nennen. 5 Ich bin gespannt, was er dann sagen würde, wie er mir darauf seine Antwort gäbe.
Hiob hat zu den Eindruck, dass er mit Gott ein Streitgespräch führen könnte und ihm einmal so richtig die Meinung sagen. Er würde Gott schon beweisen, dass seine eigenen Pläne die Richtigen sind und Gott einige Fehler in seiner Weltenplanung macht. In Kapitel 27 ist er noch der Meinung, dass er ganz genau Bescheid weiß, wie Gottes Gedanken und Pläne aussehen:
11 Ich will euch über Gottes Tun belehren, und wie der Allmächtige gesinnt ist, will ich nicht verhehlen.
Hiob ist der festen Meinung, genau Bescheid zu wissen, wie das Leben zu funktionieren hat und wie es eigentlich richtig laufen sollte. Übermütig kann er seinen Freunden sagen:
13, 18 Siehe, ich bin zum Rechtsstreit gerüstet; ich weiß, dass ich Recht behalten werde.
Aber nachdem Hiob mit Gottes Macht und Größe konfrontiert wurde, ändert sich alles. Er erkennt, dass Gott wirklich einen Plan, den Durchblick hat, kein Chaos veranstaltet und unndlich mal besser weiß, was auf dieser Welt geschieht, geschehen soll und mit unserem Leben los ist. Die große Erkenntnis für Hiobs ist, dass sein Leben und die ganze Welt in Gottes Hand sind. Egal was passiert, Gott weiß es, Gott sieht es und mein Leben ist in seiner Hand! Und so endet das Hiob Buch mit dieser großen Erkenntnis:
42,2 "Herr, ich erkenne, dass du alles zu tun vermagst; nichts und niemand kann deinen Plan vereiteln. Du hast gefragt: 'Wer bist du, dass du meine Weisheit anzweifelst mit Worten ohne Verstand?' Ja, es ist wahr: Ich habe von Dingen geredet, die ich nicht begreife, sie sind zu hoch für mich und übersteigen meinen Verstand. Du hast gesagt: 'Hör mir zu, jetzt rede ich, ich will dich fragen, und du sollst mir antworten!' Herr, ich kannte dich nur vom Hörensagen, jetzt aber habe ich dich mit eigenen Augen gesehen! Darum widerrufe ich meine Worte, ich bereue in Staub und Asche!"
Angesichts von Leid, Schmerz und Trauer, kann eine mögliche Antwort sein, sich Gottes grosse Macht vor Augen zu halten. Inmitten des Leides sage ich zu Gott:
  • Gott ich verstehe nicht, warum das passiert ist!
  • Ich blicke nicht mehr durch! 
  • Ich wünschte mir alles so anders. 
  • Aber ich vertraue darauf, dass du weisst, was passiert. 
  • Du hast die Kontrolle! 
  • Du bist grösser und weiser als alles andere. 
  • Mein Leben ist in deiner Hand. Die Welt ist in deiner Hand. 
Die Lösung besteht also darin, angesichts von Gottes Grösse, Weisheit und Macht darauf zu vertrauen, dass Gott weiß was er tut, selbst wenn ich es nicht verstehe. Meine Sicht der Dinge, mein Durchblick, mein Verständnis erfassen nicht Gottes große Absichten, Gottes großen Plan und sein Handeln an der Welt. Aber ich vertraue dieser Größe, dieser Weisheit und dieser Macht, die allesamt von Gottes Liebe motiviert sind.
Wir sind ein wenig in der Rolle der unmündigen Kinder, die sich das Verhalten der Eltern nicht erklären können, die sich von den Eltern vielleicht ungerecht oder unfair behandelt fühlen, aber einfach deshalb, weil sie die Absichten und die Motive der Eltern noch nicht durchschauen können.
Wir fühlen uns wie das Kind, dem das Taschenmesser weggenommen wird, das es in der Schublade gefunden hat, damit es sich nicht selbst verletzt. Das Kind erlebt vor allem den Verlust, nicht bekommen, was es will, beraubt werden. Die Eltern sehen den Schutz, die Bewahrung, die Vereitelung von Schmerz oder Verletzung.
Diese Lösung ermutigt uns, Gott unser Vertrauen auszusprechen, dass wir in unserer Kleinheit, Unmündigkeit und Unwissenheit seine großen Pläne nicht wirklich durchschauen können und ihm trotzdem vertrauen.
Glaube und Vertrauen sind in diesem Sinne nicht die Überzeugung, dass alles im Leben gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass alles Sinn macht, egal wie es ausgeht.

 In Teil drei wird es um eine weitere Antwort gehen, die aber im genauen Gegensatz zu dieser Antwort stehen wird und trotzdem genauso wichtig und genauso wahr ist.

Sonntag, 17. Mai 2015

Ist das ein Gott der Liebe? - Teil 1

Leiderfahrungen lösen ganz unterschiedliche Dinge bei uns. Das ist vor allem davon abhängig, ob wir das Leid an uns selbst erleben oder ob wir es bei anderen miterleben. Generell kann Leid zwei große innere Bewegungen auslösen:
Leid löst zum einen eine destruktive Bewegung in uns aus:Wir erleben Verzweiflung, Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Widerwillen, Unverständnis, Wut, Zorn, Zweifel. Diese Gefühle hinterlassen etwas Negatives bei uns, sie reisen Wunden auf, sie wühlen auf, sie bremsen uns und wir können diesem Leid rein gar nichts abgewinnen. Unser einziger Wunsch ist die Vermeidung von solchem Leid oder der Wunsch, alles rückgängig machen zu können. Ganz oft geht es uns so, wenn wir Leid bei anderen miterleben:

Der schweren Krankheit eines Angehörigen.
Dem Tod eines Angehörigen.
Ein schrecklicher Unfall, in den jemand Bekanntes verwickelt ist.
Große Ungerechtigkeit, ein Schicksalsschlag,
Wir fühlen uns dem Leid anderer gegenüber besonders hilflos.
Wir können uns oft nicht einmischen oder nichts daran ändern.

Leid kann aber auch eine konstruktive Bewegung in uns auslösen. Oftmals kommt diese Phase aber erst, wenn wir die erste durchlebt haben. Dann kann Leid auch ein Lehrmeister sein. Leid kann uns zurückführen auf einen gesunden Weg. Eine Leiderfahrung kann ein Warnschuss sein oder ein dickes Hinweisschild, wohin wir uns entwickeln sollten? Es sind aber gerade Todesfälle, die wegen ihrer Endgültigkeit oft keine konstruktive Bewegung auslösen, denn der Verstorbene kann leider nichts mehr daraus lernen oder einen anderen Weg einschlagen und die Hinterbliebenen wollen eigentlich in keiner Weise aus dem Tod eines anderen irgendwie profitieren. Zudem steht der Gewinn an Lebensweisheit oder Veränderung oftmals in keinem Verhältnis zum erlittenen Leid. Und doch bewundere ich diese Menschen, denen es gelingt inmitten von schwierigem Leid einen konstruktiven Weg einzuschlagen.
Immer wieder erlebt man es, dass zwei Menschen die genau gleiche Leiderfahrung machen:
Vielleicht im selben KZ Gefangenen sind,
An derselben Krankheit erkranken,
Den gleichen familiären Todesfall miterleben,
Dieselbe  Naturkatastrophe oder denselben Krieg miterleben,
Und doch am Ende ganz anders daraus hervorgegangen sind.
Die einen gebrochen, immer hadernd mit ihrem Schicksal, verbittert und am Glauben gescheitert, Und die anderen haben wieder Boden unter die Füße bekommen, konnten ihr Haupt erheben, konnten ihre Leiderfahrungen hinter sich lassen und sind mit ihrem Leben und ihren Schöpfer versöhnen.
Es ist vollkommen natürlich, dass jede Leiderfahrung mit einer Phase tiefer Trauer, Verzweiflung, Ängsten, Zweifel, Hadern usw. einhergeht. Niemand kann mit der konstruktiven Bewegung beginnen. Man kann die destruktive Bewegung nicht überspringen. Wer das versucht, Trauer oder Zweifel ausklammern möchte, dessen Seele bleibt in einer Sackgasse stecken.
Aber eine destruktive Bewegung, die einen gewissen Raum in unserem Leben einnehmen darf, die kann sich verwandeln in eine konstruktive Bewegung. Ich halte in diesem Zusammenhang die Reaktion von Hiob für vollkommen unangebracht und unmenschlich. Nachdem er vom Raub all seiner Herden und vom Tod all seiner Kinder erfahren hatte, lesen wir folgende Reaktion:
Hiob 1, 20 Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief  und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! 
Eigentlich möchte dieser Satz beschreiben, wie ein Mann nach einer Leiderfahrung am Ende wieder Frieden gefunden hat und sich Gott anvertrauen kann. Aber dieser Satz kommt hier zu schnell, zu spontanen, zu geplant. Die Autoren dieser Geschichte überspringen die gesamte Trauerphase, Verzweiflungsphase, Zorn und Schock, den jeder vernünftige Mensch erleben würde und springen sofort zur konstruktiven Bewegung in Hiobs Leben. Es braucht dann noch eine zweite Runde Leiderfahrung, nämlich Hiobs Krankheit, bis in der Geschichte die destruktive Bewegung in Hiob beschrieben wird.
Für Menschen, die an Gott glauben möchten, kommt mit schwierigen Leiderfahrungen aber noch eine ganz andere Thematik  hinzu. Je nach Dosis der Leiderfahrungen, je nach Häufigkeit, stellt sich früher oder später die Frage nach dem liebenden Gott. In der Theologie nennt man das die sogenannte Theodizee Frage. Es ist die Frage nach dem liebenden oder auch nach dem gerechten Gott. Im allgemeinen läuft dahinter immer der gleiche Gedankenprozess ab:
1. Es gibt  Gott
Folgerung: Gott wirkt in der Welt
2. Gott ist allmächtig
Folgerung: Gott kann Leid verhindern
3. Gott ist gnädig
Folgerung: Gott will Leid verhindern
4. Es gibt Leid
Folgerung: mit Gott kann etwas nicht stimmen
Wie kann es sein, dass ein allmächtiger und gnädiger Gott schreckliches Leid zulässt?In unseren Liedern besingen wir die Barmherzigkeit und Liebe Gottes. In den Evangelien tritt uns ein barmherziger und Alle heilender Jesus entgegen. Wir glauben an eine frohe Botschaft.In unseren Predigten sprechen wir davon, dass Gott nicht nur Liebe hat, sondern die Liebe ist. Uns wird versprochen, dass Gott unsere Gebete erhören wird, und das scheinbar garantiert, wenn zwei eins werden warum sie bitten. Wir sind aufgefordert ihn immerdar zu loben und zu preisen.Aber wie soll das alles gehen angesichts des großen Elendes auf unseren Planeten in der Vergangenheit und Gegenwart? Wie soll das gehen anhand von so vielen unverschuldeten Leid? Die vielen sterbenden, verhungernden Kinder, Aidswaisen, Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, zivile Opfer in Kriegen, die von Mächtigen und Gierigen angezettelt werden. Wie soll das gehen anhand von ganz persönlichem Leid?
Dem Unfalltod des Bruders
Der schweren Erkrankung der Schwester
Dem Selbstmord der Mutter oder der persönlichen schweren Krankheit, dem Verlust entscheidender Lebensqualität, der unheilbaren Erkrankung, den chronischen Schmerzen?
Seit Menschengedenken beißen wir uns die Zähne an diesem Widerspruch aus. Auf der einen Seite der allmächtige, gnädige Gott und auf der anderen Seite offensichtliches Leid. Erfreulich in alledem finde ich, dass unsere Religion, also das Christentum dieses Thema nicht ausklammert. Die Bibel selbst gestattet solche Fragen Die Bibel selbst greift dieses Thema auf. Sie widmet dieser Fragestellung ein ganzes Buch im Alten Testament, dem Buch Hiob.
Und auch im Neuen Testament sind die Christen von Anfang an mit der Realität dieses unverständlichen Leides konfrontiert. In der Apostelgeschichte wird uns innerhalb weniger Verse geschildert, wie einer der Apostel enthauptet wird und der andere von einem Engel aus dem Gefängnis befreit.
Apg.12,1 Um diese Zeit ließ König Herodes verschiedene Mitglieder der Gemeinde von Jerusalem festnehmen und schwer misshandeln. 2 Jakobus, den Bruder von Johannes, ließ er enthaupten. 3 Als er merkte, dass dies den Juden gefiel, ging er noch einen Schritt weiter und ließ auch Petrus gefangen nehmen – gerade in den Tagen des Passafestes. 4 Petrus wurde ins Gefängnis gebracht; zu seiner Bewachung wurden vier Gruppen zu je vier Soldaten abgestellt, die einander ablösen sollten. Herodes wollte ihm nach dem Fest vor allem Volk den Prozess machen. …7 Plötzlich stand da der Engel des Herrn, und die ganze Zelle war von strahlendem Licht erfüllt. Der Engel weckte Petrus durch einen Stoß in die Seite und sagte: »Schnell, steh auf!« Da fielen Petrus die Ketten von den Händen. 
Beim befreiten Petrus erfüllen sich die Verheißungen Gottes, die Gebete wurden erhört, das Gotteslob ist gross. Beim enthaupteten Jakobus scheint Gott zu schweigen, seine Versprechen vergessen zu haben und alle Gebete um Errettung sind vergeblich. Die Frau des Petrus ist im Jubel wegen der Rettung ihres Mannes. Die Frau des Jakobus ist in Trauer wegen der ausbleibenden Rettung ihres Mann. Beide haben demselben Gott vertraut. Aber genau diese widersprüchliche Geschichte wird aus der Bibel nicht herausgestrichen. Sie scheint etwas anzudeuten von einer Realität, der sich auch Christen trotz ihres Glaubens stellen müssen.
Gibt es Erklärungsmodelle, die uns helfen könnte Licht auf diese widersprüchliche Situation zu werfen? In Teil 2 und 3 möchte ich  zwei gegensätzliche und trotzdem hilfreiche Erklärungen schildern.

Wenn wir mehr in die Idee von Gerechtigkeit verliebt sind als in gerechtes Handeln




Vergangene Woche war ich mit unserem Leitungsteam auf einer Fortbildung in London. Dabei haben wir eine Veranstaltung der London School of Theology besucht. Referent war der aus Korea stammende US Amerikaner Eugene Cho. Er ist Pastor der Quest Church in Seattle und Gründer von One Day's Wages. Dies ist eine Organisation, die sich darum bemüht die schlimmsten Form von Armut auf unserer Welt zu bekämpfen. Der Kerngedanke von Cho war, dass er sich über viele Jahre sehr mit dem Thema Gerechtigkeit und Armut auseinandergesetzt hat, Predigten darüber gehalten, Blogs geschrieben, Vorträge gehalten, aber selbst eigentlich keinen persönlichen Beitrag für mehr Gerechtigkeit geleistet hat. Er hatwahrgenommen, dass er mehr in die Idee von Gerechtigkeit verliebt war als selbst gerecht zu handeln. Ganz schnell bekommt man den Eindruck, bereits genügend getan zu haben, wenn man in eine große Idee verliebt ist, über sie spricht, sich darüber austauscht und sich darin weiterbildet. Er hatte sein Schlüsselerlebnis beim Besuch einer Schule in Burma, als er wahrnahm, dass die dortigen Lehrer nur 40$ im Jahr verdienen. Dies führt dazu, dass er sich zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern entschloss, ein gesamtes Jahresgehalt für die Bekämpfung von Armut wegzugeben. Sie haben sich dazu freigemacht von ganz viel persönlichem Besitz und vier Jahre lang so einfach und sparsam gelebt, dass sie ein Jahresgehalt spenden konnten.
Ich habe mich beim Hören des Vortrages gefragt, wo mich die Schaffung von Gerechtigkeit persönlichnetwas kostet? Wo rede ich nur davon, halte Predigten darüber (die dann noch einen Preis gewinnen), lese darüber, aber tue nichts, was mich wirklich ein Opfer kostet.
Als David im AT den Tempelplatz gefunden hatte, wollte ihm der dort ansässige Bauer den Platz und die Opfertiere, die David Gott darbringen wollte, schenken. David wollte sich darauf nicht einlassen, sondern dafür bezahlen mit der Begründung:
2.Sam.24,24 Doch der König wandte ein: "Nein, ich will alles zum vollen Preis kaufen. Ich möchte dem Herrn, meinem Gott, nicht ein Opfer darbringen, das mich nichts gekostet hat." Und so bezahlte David für den Dreschplatz und die Rinder 50 Silberstücke.
Wieviel meiner Nachfolge und meines Wunsches, Gottes Reich und seine Gerechrigkeit zu suchen, kostet mich wirklich etwas? Wo wird es in meinem Leben so praktisch und konkret, dass es für mich ein Opfer bedeutet und nicht nur aus meinem Überfluss an Zeit und Geld heraus geschieht?
Inzwischen hat Cho eine Organisation gegründet, die das Ziel hat, die schlimmste Armut in der Welt zu bekämpfen. Schnell hat man den Eindruck angesichts des riesigen Ausmaßes an Armut gar nichts ausrichten zu können, und doch macht jede Hilfe für einzelne Menschen einen Unterschied. Durch transparente Projekte, für die alle Spenden zu 100% verwendet werden, werden Kliniken gebaut, Brunnen gegraben, Entbindungsstationen eröffnet, Schulen gebaut, Lehrer bezahlt usw. Seine Idee ist es, den Verdienst eines Tages zu spenden (mind. einmal im Jahr) und so einen konkreten Beitrag zu Gerechrigkeit zu leisten. Auf diese Weise könnten sie als Organisation schon über 2 Millionen Dollar sammeln und über 70 Projekte verwirklichen.
Wer mehr über diese Idee erfahren möchte findet einen kurzen Videoclip hier.
Den gesamten Vortrag von Eugene Cho kann man hier nachhören.
Sein Buch zum Thema hier. (als Kindle EBook gerade für 1,99€)